Armin Laschet und das Kleingedruckte
Missglückte Kommunikation über Öffnungen der Grundschulen in NRW
Was war denn da los? Die Aachener Nachrichten vom 2. Mai 2020 (Samstag) titelten auf Seite 1:
Verwirrung um Schulöffnungen
NRW-Ministerpräsident Laschet kassiert Pläne des Ministeriums ein.
Auf Seite 2 gleich drei Beiträge dazu:
1.)
“Es herrscht das nackte Chaos”
Jochen Ott, Bildungsexperte der SPD, bemängelt das fehlende Konzept der Landesregierung für die Schulöffnungen und verrät, warum er Mitleid mit der NRW-Schulministerin hat
2.)
Laschet pfeift das Schulministerium zurück
Yvonne Gebauer will Grundschulen für alle ab dem 11. Mai öffnen. Ministerpräsident “korrigiert” sie.
3.)
Im Kommentar “Wir brauchen einen Fahrplan” schreiben die Aachener Nachrichten:
Das ist ein Organisations- und Kommunikationsdebakel erster Güte zulasten der in ihrer Geduld ohnehin arg strapazierten Schüler, Lehrer und Eltern.
Online findet sich der Artikel “Laschet relativiert Pläne für Grundschulöffnung in NRW”.
Express.de titelt:
Völliges Schul-Chaos in NRW
Laschet gibt Lehrern und Schulen im WDR kuriosen Tipp
Was war passiert? Am Donnerstag, 30. April, gegen Mittag, verschickte das Ministerium für Schule und Bildung eine sogenannte “Schulmail” an die Schulleitungen der Schulen in NRW. Es war die 17. Mail mit dem Betreff “Umgang mit dem Corona-Virus an Schulen”. Diese 17. Mail fängt so an:
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Länder haben gemeinsam in der Ministerpräsidentenkonferenz am 15. April 2020 entschieden, dass ab dem 4. Mai 2020 vorzugsweise die 4. Grundschulklassen sowie Abschlussklassen des kommenden Jahres in den Unterricht zurückkehren können. Für die Zeit darüber hinaus hat die Kultusministerkonferenz entsprechende Empfehlungen erarbeitet.
Wir haben auf dieser Grundlage entschieden, in Nordrhein-Westfalen nicht von der Möglichkeit des Unterrichtsstarts bereits direkt am 4. Mai 2020 Gebrauch zu machen, sondern die Wiederaufnahme des Unterrichts an den Grundschulen und den Primarstufen der Förderschulen für Donnerstag, den 7. Mai 2020 vorzusehen. An den ersten beiden Tagen, also am 7. und 8. Mai 2020, soll zunächst nur Unterricht für Schülerinnen und Schüler der 4. Klassen stattfinden. Ab dem 11. Mai 2020 sollen in einem tageweise „rollierenden“ System die Kinder aller Jahrgangsstufen wieder in „ihre“ Schulen gehen können.
Vorab möchte ich Ihnen aber bei dieser Gelegenheit auch im Namen von Frau Ministerin Gebauer ausdrücklich danken. […]
Es folgen acht mit römischen Zahlen nummerierte und mit Überschriften versehene Abschnitte. Der vierte Abschnitt (“Eckpunkte für schulische Konzepte”) endet so:
Soweit die bisherigen Beschlüsse der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin sowie der entsprechende Beschluss der Kultusministerkonferenz erwartungsgemäß über den 6. Mai 2020 hinaus Bestand haben, bedeutet das:
- Beginn der Schulöffnungen am 7. Mai 2020 zunächst mit den Viertklässlern,
- ab dem 11. Mai ein Jahrgang pro Werktag in der Schule,
- an einem Tag so viel Unterricht und Betreuung wie möglich,
- nach einem festen Plan bis zu den Sommerferien
- bei Fortsetzung der Notbetreuung.
Zur Erinnerung: Am Anfang der Mail heißt es ohne jede Einschränkung und ohne jeden Vorbehalt:
An den ersten beiden Tagen, also am 7. und 8. Mai 2020, soll zunächst nur Unterricht für Schülerinnen und Schüler der 4. Klassen stattfinden. Ab dem 11. Mai 2020 sollen in einem tageweise „rollierenden“ System die Kinder aller Jahrgangsstufen wieder in „ihre“ Schulen gehen können.
Auf einer Pressekonferenz am späten Nachmittag des 30. April fragte eine Journalistin den Ministerpräsidenten Armin Laschet (youtube-Video im Anhang):
Nun ist heute aber das Schulministerium erneut vorgeprescht und hat schon in einer Schulmail angekündigt, dass alle Grundschüler schon am 11. Mai wieder zumindest tageweise in die schulen kommen sollen. Warum hat man denn da nicht gewartet in dem FDP-geführten Schulministerium bis zum 6. Mai? Warum ist man heute schon vorgeprescht?
Laschet:
Wenn man die Schulmail genau liest, sieht man, dass in dem langen langen Text, eine Erläuterung drin ist, dass alles unter dem Vorbehalt der Beschlüsse vom 6. Mai steht. […]
Aber entscheidend ist, verbindlich ist: Ab 4. Mai wird nur für die vierten Klassen eröffnet. Das ist bundesweiter Konsens. […] Und am 6. Mai ist der Tag, wo entschieden wird, was dann die nächste Stufe in den Grundschulen ist.
Die Journalistin fragte nach:
Das hört sich in der Schulmail völlig anders an. […] Was sollen denn die Schulen davon denken? Das ist ja ein Riesen-Durcheinander.
Ministerpräsident Laschet:
Die Schulen können das denken, was der Ministerpräsident ihnen jetzt sagt, nämlich, dass am 6. Mai der nächste Beschluss fällt. Und diese Schulmail wird auch korrigiert. Aber gedanklich ist es einem Schulministerium nicht zu verübeln, schon über den nächsten Schritt Vorbereitungen zu treffen und nachzudenken.
Im Laufe des 30. April wurde eine weitere Schulmail verschickt und veröffentlicht: “Umgang mit dem Corona-Virus an Schulen (Klarstellung der 17. Mail)”. Sie fängt folgendermaßen an:
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Nachgang der Versendung unserer heutigen SchulMail Nr. 17 möchte ich im Interesse einer eindeutigen und unmissverständlichen Kommunikation, auf die auch Sie in den vergangenen Wochen großen Wert gelegt haben, folgende Klarstellung treffen:
Sämtliche in der heutigen SchulMail Nr. 17 beschriebenen weiteren Schritte der Schulöffnung für die Klassen 1 bis 3, die frühestens ab dem 11. Mai 2020 realisiert würden, stehen unter dem Vorbehalt der noch ausstehenden Beratungen zwischen den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin am 6. Mai 2020. […] Die heutige Schulmail beschreibt einen für Nordrhein-Westfalen denkbaren Plan, sofern ein solcher Öffnungsbeschluss von Bund und Ländern am 6. Mai 2020 getroffen wird.
Der Text der nachfolgenden SchulMail Nr. 17 wurde daraufhin an den entsprechenden Stellen präzisiert: […]
Wir haben auf dieser Grundlage entschieden, in Nordrhein-Westfalen nicht von der Möglichkeit des Unterrichtsstarts bereits direkt am 4. Mai 2020 Gebrauch zu machen, sondern die Wiederaufnahme des Unterrichts an den Grundschulen und den Primarstufen der Förderschulen für Donnerstag, den 7. Mai 2020 vorzusehen. An den ersten beiden Tagen, also am 7. und 8. Mai 2020, soll zunächst nur Unterricht für Schülerinnen und Schüler der 4. Klassen stattfinden.
Im Abschnitt IV der korrigierten 17. SchulMail (“Eckpunkte für schulische Konzepte”) heißt es nun:
Soweit die bisherigen Beschlüsse der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Bundeskanzlerin sowie der entsprechende Beschluss der Kultusministerkonferenz erwartungsgemäß über den 6. Mai 2020 hinaus Bestand haben, bedeutet das:
- Beginn der Schulöffnungen am 7. Mai 2020 zunächst mit den Viertklässlern,
- an einem Tag so viel Unterricht und Betreuung wie möglich,
- nach einem festen Plan bis zu den Sommerferien
- bei Fortsetzung der Notbetreuung.
Das passt alles nicht zusammen. Der “versteckte” Vorbehalt in der ursprünglichen Mail (Abschnitt IV) betraf nicht nur die Grundschulöffnungen für die Klassen 1 bis 3, sondern auch den “Beginn der Schulöffnungen am 7. Mai 2020 zunächst mit den Viertklässlern” — das heißt, dieser Beginn am 7. Mai wäre davon abhängig gewesen, was die Ministerpräsidenten nur einen Tag vorher, am 6. Mai, beschlossen hätten. Über die Öffnung am 7. Mai gab es aber offenbar gar keinen Streit. Laschet sagte ja auf der Pressekonferenz selber: “Aber entscheidend ist, verbindlich ist: Ab 4. Mai wird nur für die vierten Klassen eröffnet. Das ist bundesweiter Konsens.” Warum stand diese Öffnung für die Viertklässler dann aber ebenso unter dem Vorbehalt wie die Schulöffnung für die Klassen 1 bis 3?
Am Anfang der zweiten Schulmail vom 30. April, also der Klarstellung der 17. Mail, wird der Vorbehalt nur für die Klassen 1 bis 3 ausgesprochen (“Sämtliche in der heutigen SchulMail Nr. 17 beschriebenen weiteren Schritte der Schulöffnung für die Klassen 1 bis 3, die frühestens ab dem 11. Mai 2020 realisiert würden, stehen unter dem Vorbehalt […].”). Weiter unten in der korrigierten Mail kommt wieder der “versteckte” Vorbehalt, der aber auch den “Beginn der Schulöffnungen am 7. Mai 2020 zunächst mit den Viertklässlern” umfasst. Das würde bedeuten, der Beginn der Schulöffnungen für die Viertklässler am 7. Mai würde immer noch nicht feststehen.
Selbst die korrigierte Schulmail wirft also Fragen auf. Da fragt man sich ernsthaft, was die Grundschulen noch denken sollen, wenn sie nicht längst plemplem geworden sind.
In der Sendung WDR extra vom 30. April (20.15 – 21.45 Uhr, youtube-Video im Anhang) wurde Laschet gefragt:
Aber mit der Kommunikation können Sie im Ernst nicht zufrieden sein. […] Es ist ja nicht das erste Mal, dass es da Verwirrung gibt. Muss es da nicht nicht Verbesserungen geben, weil die Eltern und Schüler ja sehr drauf gucken im Moment?
Laschet:
Man muss immer auf das Kleingedruckte gucken. Ganz unten steht: Das ist der Vorbehalt der Ministerpräsidentenkonferenz.
Achso, dann ist ja alles klar. Manche Leute sind einfach nur zu blöd, in den völlig unmissverständlichen Mails des Schulministeriums das Kleingedruckte ganz unten (oder vielleicht auch irgendwo in der Mitte) zu lesen.
PS:
Der Konrektor des Grundschulverbunds Bergheim hat Laschets Botschaft übrigens verstanden. In seiner Mitteilung vom 1. Mai 2020 schreibt er:
Liebe Eltern […],
wie Sie es gestern wahrscheinlich aus der Presse erfahren haben, können die Schulleiterinnen und Schulleiter das Kleingedruckte nicht richtig lesen. […]
Das Lehrerkollegium wird die Zeit weiterhin nutzen, für alle Vorgaben und Veränderungen einen Plan zu entwickeln.
Es ist immer gut, einen Plan zu haben. Vor allem einen Plan B für den Fall, dass es wieder verwirrende Mitteilungen mit Kleingedrucktem aus Düsseldorf gibt.
PPS:
Wir möchten uns nicht ausdenken, wie groß die Verwirrung erst wäre, wenn die Schulministerin nicht Yvonne Gebauer, sondern immer noch Sylvia Löhrmann (Grüne) wäre… (Was macht die eigentlich nach der Wahlniederlage von 2017? Denkt die sich immer noch Optimierungsmöglichkeiten für G8 aus?)
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Anhang
Youtube, “Presse-Statement von Ministerpräsident Armin Laschet zu #COVID19 in NRW, 30.04.2020”
Sendung WDR extra vom 30. April