NRW-Zentralabitur: Ministerium erklärt Vorgaben implizit für null und nichtig

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Wie wir berichtet haben, ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zur Fixvektorpanne gekommen, d. h., in Abiturprüfungen für den Grundkurs Mathematik wurde nach “stationären Verteilungen” gefragt, obwohl Fixvektoren/Stationäre Verteilungen nur für den Leistungskurs, aber nicht für den Grundkurs als Prüfungsinhalt vorgesehen sind.
Wir haben von einer zuverlässigen Quelle erfahren, wie das Ministerium für Schule und Weiterbildung die aus unserer Sicht rechtswidrige typische Fixvektoraufgabe rechtfertigt — nämlich so:

Diese Abituraufgabe kann auf der Grundlage des Wissens zu „Übergangsmatrizen und Matrizenmultiplikation als Verkettung von Übergängen“, die in den Abiturvorgaben und auch im Lehrplan als inhaltliche Schwerpunkte zu finden sind (s. Lehrplan S. 23), gut bearbeitet werden.

In den Abiturvorgaben für den Grundkurs Mathematik wird nicht auf die Schwerpunkte „Fixvektoren“ oder „Stationäre Verteilung“ verwiesen. In den […] Teilaufgaben der […] Abituraufgabe HT 4 geht es auch nicht darum, im Unterricht vermittelte und eingeübte Techniken oder Kalküle wiederzugeben, sondern vielmehr darum, im Unterricht erworbenes Wissen im Bereich der Übergangsmatrizen anzuwenden und zur Problemlösung in einem im Sachkontext sinnvollen Zusammenhang mit angemessenem Schwierigkeitsgrad anzuwenden.

In einem lehrplangemäßen, verständnisorientierten, wissenschaftspropädeutisch geprägten Mathematikunterricht erwerben Schülerinnen und Schüler mit der Fähigkeit zur Problemlösung eine Kernkompetenz, die sich dadurch auszeichnet, dass vorhandenes Wissen in neue Bezüge eingebunden werden kann (s. Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Mathematik, Frechen 1999, S. 31 f).

Bezogen auf die oben genannten […] Teilaufgaben wurden die Begriffe „Fixvektor“ oder „Stationäre Verteilung“ daher auch nicht vorausgesetzt, sondern sowohl im Sach- als auch im mathematischen Kontext erläutert. Dieses ist mit wenigen Worten möglich und erschließt sich nach Einschätzung der Aufgabenkommission und den an den unterschiedlichen Qualitätssicherungsschritten im Prozess der Entwicklung der Prüfungsaufgaben Beteiligten im Sachkontext als sinnvolle, verständliche Fragestellung.

Mit dieser dumm-dreisten, arrogant-ignoranten Argumentation erklärt das unfehlbare Ministerium die Vorgaben für die schriftlichen Abiturprüfungen im Fach Mathematik (Grundkurs) implizit für null und nichtig. Denn mit dieser “Begründung” lässt sich (fast) jeder Prüfungsgegenstand, der laut Vorgaben nur für den Leistungskurs vorgesehen ist, auch für eine Grundkursprüfung rechtfertigen. Zum Beispiel: Exponentialfunktionen als Funktionenscharen, die Integrationsmethoden “Substitution” und “partielle Integration”, Abstandsprobleme (Gerade/Ebene, Ebene/Ebene). Dazugehörige Aufgaben lassen sich nämlich dadurch lösen, dass man “im Unterricht erworbenes Wissen anwendet” und in “neue Bezüge einbindet” — dass diese Anwendung von Wissen bisweilen unangemessen schwierig ist, ist dem Ministerium offenbar egal.

Es bleibt absurd: Einem Leistungskursschüler wird ein bestimmter (Prüfungs-)Gegenstand im Unterricht beigebracht, während ein Grundkursschüler in einer Prüfung damit ohne Vorbereitung zurechtkommen soll. Und wenn ein Schüler damit nicht zurechtkommt, hat der unfähige Lehrer keinen lehrplangemäßen, verständnisorientieren, wissenschaftspropädeutisch geprägten Mathematikunterricht gehalten, so die bestechende Logik des unfehlbaren Ministeriums für Schule und Weiterbildung. — „Wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch, denn überall herrscht Gewalt“ (aus der Oper “Die Kluge” von Carl Orff).