Die Aufgaben einer Schülervertretung
Engagement für Schülerinteressen oder Verkauf von Lollis, Rosen, Kaffee, Kuchen und Punsch? — Vorbildlich: Die Satzung der SV des Gymnasiums Adolfinum
Laut Schulgesetz des Landes NRW (§ 74) nimmt die Schülervertretung (SV) “die Interessen der Schülerinnen und Schüler wahr”. Im SV-Erlass des Schulministeriums heißt es1:
Die SV vertritt im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule die Rechte der Schülerinnen und Schüler, fördert und nimmt deren Interessen wahr und wirkt dadurch bei der Gestaltung des schulischen Lebens mit. […]
Außer der Mitwirkung am Entscheidungsverfahren und der Teilnahme an Konferenzen gehört zur Mitwirkung der Schülerinnen und Schüler bei der Verwirklichung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule insbesondere:
- Die Förderung von fachlichen, kulturellen, sportlichen, politischen und sozialen Interessen der Schülerinnen und Schüler. Hierzu gehören insbesondere:
- Arbeitskreise über selbstgewählte Themen einschließlich solcher über politische Fragen,
- Forumsgespräche und Vortragsveranstaltungen, bei denen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Richtungen die Möglichkeit zur Diskussion eines bestimmten Themas gegeben wird,
- Arbeitsgemeinschaften, Fach- und Neigungsgruppen.
- Das Recht, Probleme des schulischen Lebens sowie Beschwerden allgemeiner Art aufzugreifen, sie mit den am Schulleben Beteiligten zu diskutieren und sie über die Schule den Schulaufsichtsbehörden vorzutragen.
- Das Recht, im Einzelfall eine Schülerin oder einen Schüler ihrer Schule auf deren oder dessen Wunsch bei der Wahrnehmung ihrer oder seiner Rechte gegenüber Schulleitung und Lehrkräften, insbesondere bei Ordnungsmaßnahmen und Beschwerdefällen zu beraten und zu unterstützen.
- Das Recht zur Abgabe von Erklärungen an die Öffentlichkeit im Rahmen des schulpolitischen Mandats. Derartige Erklärungen können nur abgegeben werden, wenn ein entsprechender Beschluss des Schülerrats vorliegt.
So viel zu den Aufgaben und Rechten der SV. Der SV-Erlass regelt ferner, dass — je nach Schulgröße — ein bis drei gewählte Verbindungslehrer (auch bekannt als SV- oder Vertrauenslehrer) “die Schülervertretung bei der Planung und Durchführung ihrer Aufgaben” unterstützen.2 Denn auch die Wahrnehmung von Interessen kann und muss man in der Regel lernen. Dabei können politisch denkende Verbindungslehrer durchaus hilfreich sein. Im Übrigen: Laut Kernlehrplan (Sekundarstufe I, Gymnasium) soll im Politikunterricht die folgende sogenannte Handlungskompetenz erworben werden: Die Schüler “nehmen eigene und fremde Interessen wahr […] und wenden Strategien der Organisation und Durchsetzung von Interessen und Positionen im Rahmen demokratischer Regelungen innerhalb der Schule und des persönlichen Umfeldes bei konkreten Anlässen an”. Zu den Schwerpunkten im sog. Inhaltsfeld “Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie” gehören “Formen politischer Beteiligung, Rechte und Pflichten von Kindern und Jugendlichen”. Der Kernlehrplan Gesellschaftslehre (Sekundarstufe I, Gesamtschule) sieht in diesem Zusammenhang als Sachkompetenz vor: Die Schüler “beschreiben die Funktionen von Gremien und Akteuren in Entscheidungsfindungsprozessen im schulischen und persönlichen Umfeld (u.a. Klassensprecher/in, Schülervertretungen, Familie und Freizeit) und stellen Möglichkeiten der Mitgestaltung dar”.
Wie sieht die Arbeit einer SV in der Realtität aus? Eine ganz kleine, nicht repräsentative Stichprobe hat ergeben, dass es solche und solche Schülervertretungen gibt, nämlich solche, die vorrangig die Interessen und Rechte der Schüler vertreten, und solche, die das nicht tun. So ist beispielsweise auf der Homepage eines Aachener Gymnasiums, das wir in einem anderen Zusammenhang kennengelernt haben, unter “SV-Aufgaben” zu lesen:
Fester Bestandteil für ein harmonisches Miteinander an unserer Schule sind die Nikolausaktion, die Frühlingsgefühleaktion sowie das seit letztem Jahr wieder eingeführte Schulfußballturnier, welche alle durch Schüler geplant und durchgeführt werden.
Auch bei Veranstaltungen am Einhard ist die Schülervertretung gerne behilflich. Beim alljährlichen Weihnachtsbasar wird der Kuchen- und Getränkeverkauf von der SV übernommen und auch bei der Öcher Nölde sorgen die Schüler für eine Garderobe und einen Getränkeverkauf vor Ort.
Jährlich findet am Einhard-Gymnasium eine SV-Fahrt zur Jugendherberge Monschau-Hargard statt. […] Auf der 3-tägigen Fahrt werden viele aktuelle Themen diskutiert und SV-Projekte, die im Laufe des Jahres stattfinden, in Gruppenarbeit geplant und vorbereitet. […]
Am Tag der offenen Tür organisiert die SV einen Kinderbertreuungsservice im SAZ. […]
Um seiner oder seinem Liebsten am Valentinstag eine Freude zu machen, kann jede Schülerin und jeder Schüler in der Woche um den Valentinstag Lollis, Rosen und Weingummiherzchen bei der SV kaufen.
Die Idee einer SV-Fahrt ist gut, aber wenn dort nur oder hauptsächlich SV-Projekte wie Kinderbetreuung, Weihnachtsbasar und Valentinsaktion geplant werden, ist das weniger gut.
Auf der Homepage eines anderen Aachener Gymnasiums ist Ähnliches zu lesen:
- [D]ie SV scheut auch dieses Jahr keine Mühen, um vor Weihnachten das Finden toller Geschenke zu erleichtern. Außerdem wird der Erlös wieder einem wohltätigen Zweck zugeführt! RMG-Weihnachtsbasar bedeutet: Kaffee, Kuchen, Kakao oder Punsch und vor allem Zeit, miteinander die vorweihnachtliche Stimmung zu genießen.
- Auch dieses Jahr brachten die Boten der SV wieder zahlreiche Rosen unter die Schülerschaft und sorgten für strahlende, glückliche und freudig-überraschte Gesichter!
- Auf eine Stippvisite kam der Nikolaus am RMG vorbei und verteilte die begehrten Schokokopien seiner selbst – nicht nur an unsere Namenstagskinder, sondern auch an alle braven Schülerinnen und Schüler (und – Lehrerinnen und Lehrer).
- Karnevalsparty der SV am Fettdonnerstag – hier sind die Bilder.
Ein Beispiel für die “Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie” oder Brot und Spiele fürs Volk?3
Nikolaus- und Valentinsaktion, Kinderbetreuung etc. gehören in unseren Augen nicht zu den vorrangigen Aufgaben einer SV (dafür müsste man die Begriffe “Förderung” und “kulturelle und soziale Interessen” sehr weit fassen). Der Schwerpunkt der SV-Arbeit sollte vielmehr darauf liegen, Rechte und Interessen der Schülerschaft — möglichst allumfassend und planvoll — gegenüber der Schulleitung, in der Schulkonferenz und, wenn nötig, öffentlich zu vertreten: Welche Wünsche, Anliegen, Forderungen, Bedürfnisse, Sorgen haben die (Mit-)Schüler? Welche Missstände gibt es? Wo drückt der Schuh? Welche Probleme gibt es? Was läuft schief? Was könnte man wie besser machen?
Eine SV, die offenbar in diese Richtung arbeitet, findet sich am Gymnasium Adolfinum in Moers. Die SV des Adolfinums verzichtet zwar auch nicht auf kleine Aktionen zu Nikolaus und zum Valentinstag, aber ihre Arbeit geht weit darüber hinaus, wenn man den Worten auf ihrer Internetseite glauben darf:
Die Mitglieder der Schülervertretung haben […] vorrangig die Interessen der Schülerschaft im Blick. […]
Die Spitze der Schülervertretung bildet der sogenannte Exekutivrat. Dabei handelt es sich um ein Gremium (in dem insgesamt dreizehn Ressorts besetzt werden müssen), das im Rahmen der jährlich stattfindenden Schülerratssitzungen von allen Klassen- und Jahrgangsstufenvertretern gewählt wird. […]
Schüler der Unterstufe (Klassen 5 – 7) finden sich mehrmals jährlich in der Junior-SV zusammen. Dort besprechen sie Themen, die für die jüngeren Schüler des Adolfinums relevant sind. Eine ähnliches Gremium gibt es auch für die Schüler der Mittelstufe (Klassen 8 + 9). Sie kommen im Mittelstufenrat (MSR) zusammen. […] Regional ist die SV mit anderen Schülervetretungen über die Bezirks-SV vernetzt. Regelmäßige treffen finden dabei z.B. zwischen den Schüler-Vertretungen der Moerser Gymnasien statt, um relevante schulpolitsiche Themen zu besprechen oder gemeinsame Aktionen zu planen.
[…] Einmal in der Woche trifft sich der Exekutivrat im SV-Raum, um aktuelle Themen zu diskutieren und die Interessen und Wünsche der Schülerschaft effektiv in vielen Schulgremien, wie z.B. der Schulkonferenz oder den verschiedenen Fachschaften, zu vertreten. Die Mitglieder der SV sind dabei Ansprechpartner und Vermittler zwischen den verschiedenen Instanzen. Sie versuchen mit innovativen Ideen die Schule weiterzuentwickeln und die Augen und Ohren der Lehrer- und Elternschaft für die Wünsche der Schüler zu öffnen.Dies gelang in der Vergangenheit sehr eindrucksvoll. So konnte z.B. im Jahr 2014 ein Sponsorenlauf organisiert werden, der über 30.000.- Euro Spendengelder hervorbrachte. 15.000.- Euro wurden davon für caritative Projekte gespendet. Mit dem verbliebenen Spendengeld soll eine Umgestaltung des Schulhofs umgesetzt werden, an deren Planung die SV in Kooperation mit der Architektenkammer NRW derzeit aktiv mitwirkt. Weiterhin beteiligt sich die SV an der Umsetzung der Berufsberatung am Adolfinum. Ehemalige Adolfiner werden zu einer Talkrunde eingeladen, um dem aktuellen Abiturjahrgang von ihren Erfahrungen aus dem Studium oder der Berufsausbildung zu berichten und Ratschläge zu geben. Zu Beginn eines jeden Schuljahres führen die Mitglieder der SV die Klassensprecherwahlen in der Sekundarstufe I durch, auch, um aktive Mitglieder für die Mitarbeit in den Schülergremien (Junior-SV, Mittelstufenrat und Exekutivrat) zu werben.
Ein solches Engagement fällt nicht vom Himmel. Die Arbeit der Adolfinum-SV wird durch eine eigene detaillierte und durchdachte Satzung geregelt. Allein eine solche Satzung zu entwickeln, ist ein starker Hinweis darauf, dass die SV des Adolfinums die Aufgabe, Rechte und Interessen der Schüler zu vertreten, ernst nimmt (bzw. ernst genommen hat) und sich nicht auf Brot und Spiele für die Schülerschaft konzentriert (hat). So sieht die Satzung “ständige Ressorts” vor, deren jeweiliger Leiter vom Exekutivrat bestimmt wird. Diese Ressorts sind: Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen, Junior-SV, Mittelstufenrat, Recht, Finanzen, überschulische Zusammenarbeit, Sitzungsmanagement und Beschluss-Controlling (genial!), Fortbildung, Streitschlichtung, Patenschaften, Schülerzeitung und Oberstufe. Die Aufgabenbereiche der einzelnen Ressorts werden in der Satzung näher beschrieben.
Wir wünschen der Adolfinum-SV, dass es stets genügend engagierte Schüler gibt, die diese vorbildliche Satzung4 mit Leben füllen, und Verbindungslehrer, die die SV dabei unterstützen. Mögen sich die Schülervertretungen anderer Schulen daran ein Beispiel nehmen! Mit dem Verkauf von Lollis, Rosen, Kaffee, Kuchen und Punsch lassen sich nämlich weder die Rechte und Interessen von Schülern vertreten noch die Demokratie “weiterentwickeln”.
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- Sowohl das Schulgesetz als auch der SV-Erlass verzichten darauf, klar und genau definieren, was die “Schülervertretung” ist. Es wird nicht eindeutig geregelt, welche Personen die SV ausmachen. So heißt es im SV-Erlass zum Beispiel: “Sie [die SV] ist unbeschadet der besonderen Aufgaben ihrer Organe Sache aller Schülerinnen und Schüler, die durch sie bei der Verwirkluchung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule mitwirken.”
- Die Verbindungslehrer wiederum sollen “von allen am Schulleben Beteiligten unterstützt werden; insbesondere obliegt diese Aufgabe der Schulleiterin oder dem Schulleiter und den übrigen Lehrkräften”.
- Zwei weitere Beispiele: Über die SV eines Gymnasiums in Düren ist Folgendes zu lesen:
Neben Kleinigkeiten, die im Schulalltag anfallen und besprochen werden müssen, gibt es auch größere Aufgaben, die die SV zu erfüllen hat.
Wichtige Aufgaben der SV sind z.B.:
- Die Organisation der Kreativtage (Zusammenstellung der Aktivitäten, Einteilung in die Projekte, Ablauf, ….)
- Die Organisation des Schulfestes (Leitung einiger Stände, Unterstützung der Lehrer)
- Die Organisation des Nachhilfe-Projektes »Schüler helfen Schülern«
- Die Mithilfe bei den Sextanernachmittagen (Präsentation der Schule für zukünftige Schüler und Eltern)
- Die Organisation und Durchführung der alljährlichen Karnevalsfeier an Weiberfastnacht
- Mithilfe bei Schulentwickllung und Schulgremien – und überall, wo Schülermeinungen und Schülerpositionen gefragt sind!
Dass “Schülermeinungen und Schülerpositionen” als letztes aufgeführt werden, ist vermutlich kein Zufall. Man könnte fast meinen, dass diese SV der Schulleitung einen Teil ihrer Arbeit abnimmt — wovon im SV-Erlass nicht die Rede ist.
Über die SV eines Gymnasiums in Erkelenz ist zu lesen:Wir vertreten die Interessen aller SchülerInnen des CGE und versuchen Ideen und Wünsche umzusetzen. Dazu gehören auch verschiedene Aktionen innerhalb des Schuljahres. Dies sind beispielsweise:
- die Nikolaus-Aktion
- die Valentinstags-Aktion
- der Spielzeug-Verleih in den Pausen
- die Karnevalsfeier für die 5. Klassen
- das Balla-Balla-Turnier
- u.v.m.
- Zwei kleine Kritikpunkte hätten wir: 1.) In der Satzung werden unter 2.3.6 die Aufgaben des Schülerrats festgelegt, darunter Beschlussfassung über Anträge des Exekutivrats. Dass ein einzelnes Mitglied des Schülerrats berechtigt wäre, Anträge zu stellen, und der Schülerrat darüber beraten und beschließen würde, wird nicht erwähnt (weil es selbstverständlich ist?) 2.) Zu den “ständigen Ressorts” gehört laut Satzung die Schülerzeitung. Der Leiter dieses Ressorts wird “auf Vorschlag der Redaktionskonferenz gewählt” — von wem? Nach 3.7.1 “bestimmt” der Exekutivrat die Leiter der Ressorts. Eine Schülerzeitung sollte jedoch unabhängig sein, insbesondere unabhängig von der SV, damit sie im Zweifelsfall unvoreingenommen und kritisch berichtet, auch über die SV-Arbeit. Es ist natürlich vorstellbar, dass ohne die Mitwirkung der SV gar keine Schülerzeitung zustande käme. Eine von der SV unterstützte oder beeinflusste Schülerzeitung ist sicherlich besser als gar keine Schülerzeitung. Dagegen, dass der Exekutivrat positiven Einfluss auf das Funktionieren einer (sonst nicht funktionsfähigen) Schülerzeitung nimmt, ist nichts einzuwenden. Es sollte jedoch sichergestellt werden, dass kein darüber hinausgehender Einfluss, insbesondere kein einseitiger Einfluss auf die Berichterstattung, ausgeübt wird.