NRW-Zentralabitur 2018: Prüfungsaufgaben im Fach Mathematik mit Haken und Ösen?

Download PDF

Das Schulministerium sollte aus dem Protest der Schüler Konsequenzen ziehen — auch im Hinblick auf den fragwürdigen Kernlehrplan von 2014 und den dämlichen GTR.

Vor knapp zwei Wochen, am 2. Mai 2018, wurde in Nordrhein-Westfalen die Abiturprüfung für Mathematik geschrieben. Offenbar führte sie unter den Schülern zu mehr Problemen als üblich, vor allem im Leistungskurs. Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet (“Viele Schüler verärgert wegen überlanger Mathe-Klausur”, online, 07.05.2018):

Viele Abiturienten beschweren sich darüber, dass die Klausuren in der vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen waren. Insbesondere der Prüfungsteil B, den die Abiturienten mit Hilfsmitteln wie einem Taschenrechner absolvieren dürfen, war nach Meinung vieler Jungen und Mädchen in der vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen.

Auf change.org hat ein Abiturient eine Petition mit dem Titel “Mathe Abitur 2018 NRW zu wenig Zeit” gestartet, die bisher laut change.org von gut 17000 Leuten unterschrieben worden ist. (Wie wäre es, wenn wenigstens 2000 von diesen Unterzeichnern mal in Düsseldorf demonstrieren würden?)

Dass es wieder einmal zu Querelen im Zentralabitur im Fach Mathematik gekommen ist, wundert uns nicht. Das Schulministerium hat mehrfach bewiesen, dass es ein Händchen für ungemütliche, manchmal sogar für rechtswidrige Matheaufgaben besitzt. Davon abgesehen hat der Kernlehrplan Mathematik von 2014 grundsätzlich zu noch mehr Stoff- und Zeitdruck in der Oberstufe geführt. Der grafikfähige Taschenrechner (GTR) ist eine weitere Schikane. Bereits 2015 haben wir angesichts des fragwürdigen Kernlehrplans geschrieben:

Wir wünschen allen betroffenen Lehrern und Schülern viel Erfolg und eine gute Frustrationstoleranz beim Versuch, ungefähr 25 bzw. 40 Unterrichtsstunden für die Stochastik zusätzlich und zu Lasten anderer Themengebiete unterzukriegen. […] Der neue Kernlehrplan Mathematik […] sorgt in Verbindung mit dem GTR und dem Zentralabitur dafür, dass nicht nur Schüler, sondern auch mancher Lehrer eine negative Einstellung gegenüber der Schulmathematik entwickelt und den Unterrichtsstoff zum Teil für sinnlos hält.

Im selben Jahr hat die Landesschülervertretung einem Schüler mitgeteilt: “Aufgrund der Kompetenzorientierung der Kernlehrpläne wird es jedoch immer schwieriger für LehrerInnen, ihre SchülerInnen auf die im Zentralabitur abgefragten Kenntnisse vorzubereiten.”

Stoffvermittlung im Schweinsgalopp/Bulimielernen, Pippi-Langstrumpf-Mathematik, GTR, Kompetenzorientierung, merkwürdige Aufgabenstellungen — das kann zu großen Problemen in der Prüfung führen.

In dem Schülerforum abiunity.de wird die diesjährige Prüfung diskutiert (unter anderem hier und hier). Der User MatheEKLK spricht vermutlich vielen betroffenen Schülern aus der Seele, wenn er schreibt:

Ich fand es ziemlich beschissen. Alleine die Funktion f bei der Analysis vom Prüfungsteil B (mit Hilfsmittel). Welcher Mensch kommt darauf so eine ellenlange Funktion im Abitur dran zu nehmen? Das (er)fordert weder großes mathematisches Verständnis noch Intelligenz, sondern einfach nur ohne Ende Aufwand, Zeitverschwendung und Fehler. Ich hätte k… können.

Ein anderer User, Amaker, schreibt:

Ich glaube das große Problem mit der Klausur war der Taschenrechner. An vielen Schulen wurde von den Lehrern missverstanden, wie der Taschenrechner in der Abiturklausur zu gebrauchen ist. […] Ich denke wenn alle Schüler eine Crashkkurs mit dem GTR bekommen hätten und auch die Operatoren richtig beigebracht bekommen hätten, dass dann die Klausur für fast niemanden ein Problem gewesen wäre.

Den grafikfähigen Taschenrechner (GTR) betrachten wir seit seiner Einführung 2014 als ein großes Problem. Er ist kein Hilfsmittel, sondern eine über 100 € teure Schikane, ein Klotz am Bein. Wir haben dies ausführlich dargelegt (hier, hier und hier; die Kurzfassung wurde als Leserbrief im Kölner Stadt-Anzeiger veröffentlicht, siehe hier). Mathematische Bildung hat nichts mit dem Drücken von Knöpfchen auf einem Taschenrechner zu tun. Zur Erinnerung: 2014 haben Sachverständige vor dem Schulausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen zum GTR-Erlass Stellung genommen. Unter anderem sagten sie:

  • “Der grafikfähige Taschenrechner ist einfach ein überholtes Gerät. Er ist auch sehr umständlich zu bedienen.”
  • “Die Bedienung vieler GTR ist anspruchsvoll und beeinträchtigt in vielen Fällen den fachlichen Kompetenzerwerb.”
  • “[Die Schüler] sollten nicht gezwungen werden, mit dem grafikfähigen Taschenrechner in das Abitur zu gehen.”
  • “Neben den hohen Kosten verlangt ein GTR einen erheblichen Zeitaufwand, um seine Bedienung effektiv zu beherrschen, eine Investition, die sich kaum lohnt. […] Vor allem aber ändert der GTR grundlegend die Arbeitsweise im alltäglichen Unterricht zum Schlechteren. Anders als ein WTR [wissenschaftlicher Taschenrechner, A.~R.], steht beim GTR schnell die Technik im Vordergrund und lenkt häufig vom eigentlichen Kern des Unterrichts ab.”
  • “Der grafikfähige Taschenrechner erfordert eine extrem hohe Einarbeitungszeit. Kollegen, die bereits Erfahrungen damit gemacht haben […] berichten, dass Schüler ganz konsequent dieses Gerät, wenn es irgendwie geht, nicht nutzen, sondern für normale Berechnungen weiter auf ihren normalen Taschenrechner zurückgreifen. […] Darüber hinaus befürchten wir, zugespitzt gesagt, dass das mathematische Grundlagenverständnis weiter verloren geht, wenn noch ein Werkzeug eingeführt wird, das den Schülern das Denken abnimmt. […] Daher plädieren wir eindeutig dafür, dass man dieses Gerät nicht einführt und auf bestehende Lösungen zurückgreift.”

Die heutige Ministerin für Schule und Bildung, Yvonne Gebauer, kam damals als Mitglied des Schulausschusses zu der Erkenntnis:

Es ist schon erstaunlich, dass wir jetzt über die Einführung eines Taschenrechners sprechen und dabei erfahren, dass jeder Experte sagt, das sei eigentlich Humbug.

Frau Ministerin: Ja, der GTR ist Humbug. Wann ziehen Sie den GTR-Erlass Ihrer Vorgängerin zurück? Dann gäbe es im Unterricht und im Abitur eine Schikane weniger. Baden-Württemberg ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen und hat den GTR — nach zehn Jahren — wieder aus den Prüfungen (ab 2019) verbannt. Laut deinetaschenrechnerwahl.de ist der GTR in nur drei der 16 Bundesländer in der Abiturprüfung verpflichtend, nämlich in NRW, Sachsen und Niedersachsen. Hört man aus den anderen Bundesländern irgendwo das Verlangen von Schülern und Lehrern, den GTR unbedingt einzusetzen?

Es darf doch nicht sein, dass die Schüler wichtige Zeit damit vertun zu lernen, wie man ein untaugliches, überflüssiges Gerat bedient und welche komplizierte Bedeutung welcher Operator im Zusammenhang mit dem GTR hat! Auf einer ganzen Seite versucht das Schulministerium zu erklären, inwieweit der GTR bei welchen Operatoren eingesetzt werden darf (“Hinweise zur Dokumentation von Lösungen bei Einsatz des GTR in der schriftlichen Abiturprüfung Mathematik (ab 2017)”, hier). Da heißt es:

Bei Verwendung des Operators „berechnen“ oder des Zusatzes „rechnerisch“ in Verbindung mit anderen Operatoren sind weitere Lösungsschritte zu dokumentieren.

Welche und wie viele Lösungsschritte, verrät das Ministerium nicht. Es ist offenbar so, dass Gleichungen und Lineare Gleichungssysteme auch beim Operator “berechnen” mit Hilfe des GTR ohne Angabe von “weiteren Lösungsschritten” gelöst werden dürfen; so genau geht das aus den Hinweisen allerdings nicht hervor. Integrale wiederum dürfen beim Operator “berechnen” nicht direkt mit dem GTR berechnet werden. Ob zum Beispiel Schüler das Kreuz- oder Skalarprodukt von zwei Vektoren mit dem GTR berechnen dürfen, bleibt unklar. Das ist ein einziger Irrsinn und hat mit Mathematik nichts zu tun.

Zurück zu dem Protest der Schüler: In der oben erwähnten Petition schreibt der namentlich nicht genannte Petent, gerichtet unter anderem an die Schulministerin Yvonne Gebauer:

[I]ch fordere Sie im Namen aller Abiturienten zu einer Stellungahme zu den genannten Aspekten auf und bitte darum diese bei der Benotung der diesjährigen Abiturprüfungen der Leistungs- und Grundkurse im Fach Mathematik in NRW zu berücksichtigen und gegebenenfalls den Erwartungshorizont anzupassen oder eine andere sich auf die Benotung positiv auswirkende Maßnahme vorzunehmen.

Bisher sieht es nicht danach aus, dass das Ministerium für Schule und Bildung dieser Forderung nachkommt. Im Kölner Stadt-Anzeiger war zu lesen:

Im Landes-Schulministerium sieht man dagegen bisher keine Gründe für Kritik an den Mathematik-Klausuren. „Aus fachlicher Sicht gibt es bisher keinerlei Hinweise darauf, dass die Zeit für die Prüfungsaufgaben nicht ausgereicht hätte”, teilte das Ministerium auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit.

Es wäre ein Wunder, wenn das unfehlbare Ministerium freiwillig Probleme und Fehler beim Zentralabitur sehen und einräumen würde. Ohne Druck von außen wird da wenig passieren. An Druck von außen mangelt es jedoch. Der Petent hofft zwar “auf die Unterstützung der Landesschülervertretung”; doch sowohl auf deren Internetseite als auch auf deren Facebook-Seite wird noch nicht einmal auf die Probleme im Zentralabitur Mathematik hingewiesen. Das ist bemerkenswert, passt aber ins Bild von nicht besonders schlagkräftigen Schülervertretungen. [Nachtrag (17.05.2018): Inzwischen hat die Landesschülervertretung auf ihrer Homepage zu der Angelegenheit Stellung genommen. Demnach unterstützt sie die Petition und fordert “das Schulministerium dazu auf, auf die genannten Kritikpunkte angemessen zu reagieren”. Immerhin!] 2015 hat die Landesschülervertretung eingestanden (Quelle):

Als LandesschülerInnenvertretung Nordrhein-Westfalen sind wir natürlich bemüht, stets die Interessen der SchülerInnenschaft zu vertreten. Die Beurteilung von Abituraufgaben liegt hierbei jedoch nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten.

Wir sind ohnehin aufgrund der Fixvektorpanne zu dem Schluss gekommen, dass das Schulministerium keiner kompetenten demokratischen Kontrolle unterliegt: Jahr für Jahr (2014, 2015, 2016) ist dieses Ministerium mit rechtswidrigen Prüfungen für den Mathematik-Grundkurs ungeschoren davongekommen, weil sämtliche Kontrollinstanzen und Interessenvertretungen — darunter der Landtag, die GEW NRW und der PhV NW — versagt haben. Die aktuellen Querelen anlässlich der Mathe-Prüfung böten Anlass, es ab sofort besser zu machen, d.h. das Zentralabitur kompetent und hartnäckig zu kontrollieren, und sich nicht mit den Beschwichtigungen des Ministeriums zufrieden zu geben. Es muss geklärt werden, warum so viele Schüler offenbar in Zeitnot gerieten. Im Rahmen dieser Kontrolle müsste darüber hinaus dringend der Kernlehrplan Mathematik, der Einsatz des GTR und die Kompetenz- und Anwendungsorientierung im Mathematikunterricht in Frage gestellt werden. Obrigkeitshörigkeit ist fehl am Platz. “Wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, dass er getreten wird”, sagte Immanuel Kant.

Eigentlich müsste man bei der Landesregierung offene Türen einrennen. Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP heißt es:

Darüber hinaus werden die Lehrpläne zur Stärkung der Fachlichkeit überarbeitet und deren Kompetenzorientierung neu bewertet.

Dann mal ran an die Arbeit, liebe CDU und liebe FDP! Was Mathematik angeht, hätten wir zur “Stärkung der Fachlichkeit” und Bewertung der Kompetenzorientierung ein paar spontane Vorschläge:

1.) GTR-Erlass zurücknehmen! Rückkehr zum “normalen” Taschenrechner (WTR)!
2.) Keine anwendungsorientierten Aufgaben mehr im Zentralabitur! Insbesondere sind die Operatoren “erklären/erläutern”, “beurteilen” und “interpretieren” zu streichen! Das Wort “Sachzusammenhang” darf nicht mehr verwendet werden!
3.) Im Lehrplan Wahlfreiheit zwischen Stochastik und Analytischer Geometrie einführen, sodass der verbliebene Stoff gründlich gelehrt und gelernt werden kann!

Wir sind gerne und jederzeit bereit zu helfen!

———

PS
1.) Laut einem Beitrag auf abiunity.de ging es bei einer Aufgabe (B1) in der Mathe-Prüfung für den Leistungskurs um einen Ladevorgang. Klingt stark nach einem physikalischen Sachzusammenhang. Es besteht der Verdacht, dass Schüler, die weder Physik-GK noch -LK hatten, im Nachteil gegenüber Schülern mit Physik-GK oder -LK waren. Sieht so Chancengleichheit im Zentralabitur aus?

2.) In einem anderen Beitrag schreibt ein Schüler namens Flasta28 bezüglich einer Aufgabe des Mathe-Abiturs:

Dann war die Aufgabe einfach extrem verwirrend, denn auf der Skizze sah es einfach aus, als sei dass neue Dreieck genau die Hälfte des großen Dreiecks und P der Mittelpunkt. Von den Lehrern gab es vorher den Hinweis, dass diese Aufgabe mit “Sekundarstufe I–Wissen” zu lösen sei, was jetzt auch Sinn macht.

Könnte natürlich Fake News sein. Wenn nicht, stellt sich die Frage: Seit wann dürfen Lehrer im Abitur solche Hinweise geben?

5 Kommentare

  1. Filiz Gülec

    Ich stimme Ihnen zu 100% zu

    Antworten
  2. Gregor Kowalski

    Ich bin seit Jahren immer wieder mit dem MSW(B) [Ministerium für Schule und Weiterbildung bzw. Bildung, A.R.] in Konflikt. Die Schergen der jeweiligen Bildungsministerin verheimlichen Fehler, es werden Mathematikprofessoren herangezogen, die eindeutig mathematisch falsche Gutachten schreiben, um Fehler zu kaschieren.

    Das Bildungsministerium hat im Doppeljahrgang und der Tannenaufgabe [Abitur 2013, A.R.] die protestierenden Schüler “verarscht” (Zitat eines CDU-MdL).

    Der Runde Tisch zu G8/G9 war eine abgekartete Sache. Löhrmann hat damals so getan, als wenn es ein Expertengremium sei,das sie beraten hat, dabei war es ihr eigenes Ministerium, das die Veranstaltung in die von ihr gewünschte Richtung gezogen hat. Der zugehörige Abteilungsleiter (der übrigens unter egal welcher Ministerin “regiert” und z.B. mal G8, dann wieder G9 verkauft…wie kann man da eigentlich ruhig nachts schlafen?) geht es immer wieder nur darum das Gesicht zu wahren und verkauft warme Luft als Inhalt. Der ehemalige Referatsleiter — für das Zentralabi zuständig — hat mich am Telefon angeschrien, weil ich in einer Veranstaltung, zu der er mich eingeladen hatte, seine gefakten Protokolle nicht mittragen wollte, die die Veranstaltung bewusst falsch wiedergegeben hat. Ebendieser Referatsleiter wurde genau zu einem Moment nervös: Als nämlich die Presse mal wieder schrieb, dass die NRW-Abiturienten besonders dumm seien. Im MSW wird also offensichtlich vor allem für und durch die Presse und die Schullobbyisten Politik gemacht. Auch eine der damals führenden SPD-Schulpolitikerinnen, die vehement für G8 und die inhaltlich lächerlichen 10 Verbesserungspunkte zu G8 öffentlich eintrat, sagte mir unter 4 Augen, dass das ganze Geschachere lächerlich war und ohne jeden Gehalt. Ein weiterer Lehrer, der lange Zeit mit dem MSW arbeiten musste, sagte gar: Man müsste da […] werfen, es gibt da seit Jahrzehnten Seilschaften!

    Es geht niemals um Schüler oder Pädagogik, es geht immer um Macht und Lobbyismus.

    Es gibt im MSW Statistiken, dass seit vielen Jahren bis zu 40 % der Gesamtschüler im Matheabi 4- oder schlechter schreiben. Auch um politisch die Gesamtschulen zu stützen, wurden die Matrizen als Thema eingeführt, weil dieses z.T. so lächerlich einfach war, dass sich damit viele Schüler retten konnten.
    Dass der GTR eine Totgeburt ist, ist auch dem MSW klar. Es ist nicht auszuschließen, dass damals v.a. Texas Instrument und Casio Druck ausgeübt haben, ihn einzuführen. Man wusste bereits mit der Einführung, dass andere Bundesländer ihn wieder abgeschafft hatten (Baden-Württemberg), weil die Nachteile die Vorteile bei weitem überwogen.

    Ob die Abituraufgaben wirklich zu lang waren dieses Jahr, kann ich noch nicht beurteilen, weil das MSW die Aufgaben erst mit Abschluss der Korrektur veröffentlicht. Offensichtlich hat es Angst, dass deutlich wird, was für Amateure das Zentralabitur gestalten!
    Es gibt aber in meinem Umfeld viele Stimmen, die sagen, dass die Aufgaben in der Zeit gut zu bewältigen wären, wenn die Schüler deutlich im Unterricht gelernt hätten, dass man den GTR maximal einsetzen muss!
    Das ist zwar mathematisch eine Katastrophe, weil man zu äffchenartigen Knöpfchendrückern erzogen wird, aber es ist notwendig gemäß Richtlinien und Abiturvorgaben. Dass das vermutlich von vielen Lehrern, die sich — meiner Erfahrung nach — selber oft nur begrenzt mit den GTRs auskennen, ignoriert wird, ist ein weiterer Skandal.

    Die Schulpolitik in NRW wird seit Jahrzehnten von Versagern und Ignoranten geleitet…und es ist vollkommen egal, aus welcher Partei diese kommen. Eine nicht enden wollende Liste von Falschaussagen und politischer und moralischer Korruption.

    Antworten
  3. Mathematiklehrer

    Sehr geehrter Herr Roentgen,

    eine so einseitige Darstellung mit sachlichen Fehlern ist kein Beitrag zur Diskussion. Bitte informieren Sie sich

    zum tatsächlichen Stand der didaktischen Diskussion,

    zur GTR Verpflichtung in Thürigen, dort sogar mit Computer-Algebra,

    zum erlaubten GTR-Einsatz in fast allen Bundesländern, in Bayern sogar in der Realschule,

    über den einsamen Sonderweg von Baden-Württemberg und den empörten Aufschrei der didaktischen Verbände dazu.

    Wollen Sie wirklich weg vom Verständnis mathematischer Zusammenhänge und dem Verständnis der Welt (z.B. Ableitung = Steigung) und zurück zum Einbimsen von Kalkülen (z.B. Integral sin(x) mal x^5 dx), die Ihnen ein Gerät nicht nur schnell, sondern auch garantiert fehlerfrei ausführt?

    Antworten
    1. Alexander Roentgen (Beitrag Autor)

      Wir bekennen uns schuldig im Sinne der Anklage. Wir haben mehrere schwerwiegende, unverzeihliche Fehler gemacht.

      1.) Wir haben übersehen und unterschlagen, dass der GTR (mit CAS!) im großartigen Thüringen verpflichtend ist. Das wirft unsere Argumentation komplett über den Haufen. Wenn Thüringen den GTR benutzt, dann finden wir den GTR ab sofort super.

      2.) Der GTR ist zwar in vielen Bundesländern nicht verpflichtend, aber wir haben bösartigerweise verschwiegen, dass er in vielen Bundesländern erlaubt ist. Auch das wirft unsere Argumentation komplett über den Haufen. Der GTR ist super.

      3.) Als Baden-Württemberg mit seinem einsamen ketzerischen, GTR-freindlichen Sonderweg beschlossen hat, den GTR nicht mehr im Abitur einzusetzen, haben wir nicht mitbekommen, dass Hunderttausende Schüler und Lehrer zunächst Rotz und Wasser geheult haben und dann auf die Straße gegangen sind. Die Anti-AKW-Bewegung und die französischen Gelbwesten wären vor Neid erblasst. In der Badischen Zeitung erschien sogar ein Artikel darüber (“Taschenrechner-Erlass ärgert Mathelehrer in Baden-Württemberg”, 4.11.2013):

      Eine Entscheidung des Kultusministeriums erzürnt die Mathematiklehrer im Land. Vom Abiturjahrgang 2017 an dürfen Schüler nur noch den normalen wissenschaftlichen Taschenrechner im Abi einsetzen. […] Mathematikprofessorin Bärbel Barzel von der Pädagogischen Hochschule Freiburg hält das für eine “Rolle rückwärts für Baden-Württemberg”.

      Wer kann mal herausfinden, ob die Institute, an denen Prof. Bärbel Barzel tätig war bzw. ist, Drittmittel in welcher Höhe von Texas Instruments oder Casio bekommen haben?

      Auf stimme.de war am 2.4.2014 zu lesen:

      Ausgerechnet Baden-Württemberg. Rückwärtsgewandt statt zukunftsorientiert bewegt sich das Technologieland, wenn es nach Andreas Eichler geht. Zumindest, was den Mathematik-Unterricht betrifft. „Zurück in die Steinzeit“, nennt der Professor an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg den Vorstoß des Kultusministeriums, grafikfähige Taschenrechner (GTR) von 2017 an in Abiturprüfungen zu verbieten. „So werden wir den Anschluss an andere Länder verlieren“, meint Eichler.

      Vor allem wird Baden-Württemberg den Anschluss an das großartige Bundesland Thüringen verlieren. Mercedes und Porsche erwägen die Umsiedlung ihrer Werke.

      4.) Wir haben einen ganz üblen Denkfehler begangen. Wer vom GTR nichts hält, der will “weg vom Verständnis mathematischer Zusammenhänge und dem Verständnis der Welt”. Dass “Ableitung = Steigung” gilt, können Schüler nur mit dem GTR verstehen, weil der sie vom “Einbimsen von Kalkülen” entlastet. Dass die Sinusfunktion in NRW im Abitur seit Jahren nicht mehr vorgekommen ist, darüber muss nicht nachgedacht werden. Wir sind auch dafür, dass Schüler keine Englischvokabeln mehr lernen. Da könnte man ja Fehler machen. Wozu gibt es Google-Translate? Der GTR ist super.

      Lang lebe der GTR! Lang lebe Texas Instruments! Lang lebe Casio!

      ——————-

      PS zu Bärbel Barzel:
      Auf spiegel.de ist zu lesen:

      Bärbel Barzel hingegen gehört zu den vehementen Verfechtern der Mini-Rechner in der Oberstufe. All ihre Lehramtsstudenten an der Pädagogischen Hochschule Freiburg müssen mit den Kleincomputern arbeiten, um die Einsatzmöglichkeiten selbst auszuloten. “Die Geräte laden ein zum spielerisch anmutenden Erkunden”, erklärt die Professorin. Die Schüler könnten Funktionen verändern und würden auf dem Display sofort sehen, wie sich etwa die Lage einer Parabel verschiebe. Mit Stift und Papier ist das nicht möglich.

      Antworten
  4. Andreas Menschen

    Zu den 3 Vorschlägen habe ich folgende Anmerkungen:
    1) Bei der Abschaffung des GTR stimme ich zu; falls erwünscht, können im Unterricht (nicht in Klausuren) Programme wie Geogebra eingesetzt werden.
    2) Hier wäre ich vorsichtig, die Worte”erklären/erläutern” oder “begründen” können auch außerhalb von “Modellierungsaufgaben” verwendet werden.

    Ein Beispiel aus meiner Schulzeit (2010 Mathematik GK):
    “Der Ausdruck P(D|E) bezeichne die bedingte Wahrscheinlichkeit
    a) Erläutern (!) Sie den Begriff der Bedingten Wahrscheinlichkeit und veranschaulichen Sie ihn an einem Baumdiagramm.
    b) Zeigen Sie Folgendes: 0<=P(D|E) <=1.
    c) Leiten Sie für P(D|E) die Formel von Bayes her und begründen (!) Sie die einzelnen Schritte (z.B. mit Baumdiagrammen oder Teilen daraus)."

    3) Statt eines der Gebiete Lineare Algebra oder Stochastik komplett auszulassen (sind die "unwichtiger" als Analysis? Fraglich!), würde ich eher Analysis kürzen und zu Beginn sorgfältig den Funktionsbegriff einführen und in diesem Zusammenhang – sofern nicht bereits in der Klasse 10 geschehen – wichtige Funktionsklassen wie trigonometrische Funktionen ohne Methoden der Analysis behandeln. Den Beweis für die Ableitung der Sinusfunktion halte ich für zu anspruchsvoll (insbesondere für Grundkursler) und die Ableitung nur für schematische Ableitungsaufgaben vorzugeben, für wenig sinnvoll. Auf partielle Integration und Produktintegration verzichte ich ebenfalls gerne. Dafür halte ich eine Einführung in Zahlenfolgen und Grenzwerte zu Beginn der Analysis für unabdingbar. (Der in die Jahre gekommene Telekolleg-Band "Folgen und Grenzwerte" aus den 80ern bietet auch heute noch tolles und anschauliches Material dazu.)

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert