Schule in Zeiten digitaler Verblödung IV

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Der Kölner Stadt-Anzeiger hat netterweise am 20. Februar 2018 einen längeren Leserbrief von mir veröffentlicht (Seite 14). Er ist im Folgenden vollständig wiedergegeben. Die hier veröffentlichte Version habe ich um Quellenangaben in den Fußnoten ergänzt.

Pädagogik wird entpersonalisiert

Zurzeit wird mit seltsamen Argumenten der Versuch unternommen, die Schulen auf Teufel komm raus zu digitalisieren. Digital überall, Bedenken fast nirgends.
Die NRW-Ministerin für Schule und Bildung, Yvonne Gebauer, sagte im Schulausschuss des Landtags1:

Die Digitalisierung durchdringt die gesamte Lebenswelt, aber die Wirklichkeit an den Schulen ist viel zu oft noch analog.

Sowohl die Internationale Bildungsstudie ICILS, die Computerkompetenzen messe, als auch innerdeutsche Studien wie „Schule digital“ zeigten unmissverständlich, „dass wir unsere Anstrengungen deutlich verstärken müssen“. Im Vorwort der Studie „Schule digital 2017“ heißt es2:

Es gibt durchaus positive Entwicklungen in den Schulen: So nutzen Lehrkräfte tendenziell immer häufiger digitale Medien im Unterricht. Dieser Trend vollzieht sich allerdings langsam, und international gesehen bleibt der Medieneinsatzhierzulande zu schwach.

Dass hinter dieser Studie die Deutsche-Telekom-Stiftung steckt, sei nur am Rande erwähnt. Ob der Einsatz digitaler Medien sinnvoll und nützlich ist, ob Schüler mit digitalen Medien besser lernen können als ohne, darüber wird nicht nachgedacht. Ob die Vorteile digitaler Medien in einem angemessenen Verhältnis zu Kosten und Aufwand stehen und welche Risiken und Nebenwirkungen es gibt, wird nicht erörtert. Stattdessen glauben manche Menschen an die Digitalisierung wie an eine Heilslehre und verkennen dabei, dass sie die Pädagogik weiter entpersonalisiert und hauptsächlich dem Profit der IT-Industrie dient, wenn nicht sogar die bessere Steuerung und Kontrolle der Schüler das heimliche Ziel hinter diesem Hype ist. Der deutschamerikanische Informatiker Joseph Weizenbaum sagte in den 1980er-Jahren3:

Der Computer in der Schule ist eine reine Frage der Priorität. Ich frage: Beherrschen 18-Jährige in diesem Land ihre Muttersprache? Wissen sie viel von ihrer Geschichte, ihrer Kultur, ihrer Literatur? Können sie denken? Wenn die Schule diese Dinge vermittelt hat, dann wäre ich damit einverstanden, wenn der Computer eingeführt wird.

An Schulen gibt es ganz andere, gravierendere Probleme als fehlende WLAN-Verbindungen und mangelnde Informatikkenntnisse, nämlich Leistungsdruck, Vandalismus, Langeweile, Demotivation unter Schülern. Das kommt nicht oder kaum zur Sprache. Ein durch und durch standardisiertes, verbürokratisiertes Schulsystem mit Lernstands-Erhebungen, Kernlehrplänen und zentralen Abschlussprüfungen tötet jedes Interesse, jede Begeisterung für ein Fach und führt dazu, dass viele Schüler sich in der Schule vorkommen, als wären sie im Knast. Warum gibt es darüber keine Studien und Erklärungen der Ministerin?

Der Neurobiologe Gerald Hüther fordert schon seit langem4:

Wir müssen das System der Dressur- und Abrichtungsschule überwinden.

Aber wo kämen wir hin, wenn es in der Schule um echte Bildung, um freie Entfaltung der Persönlichkeit und nicht mehr um die Bildung von Humankapital für den Wirtschaftsstandort Deutschland ginge?

Albert Einstein warnte5:

Überbetonung des kompetitiven Systems und frühzeitiges Spezialisieren unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Nützlichkeit töten den Geist, von dem alles kulturelle Leben und damit schließlich auch die Blüte der Spezialwissenschaften abhängig ist. Das Lehren soll so sein, dass das Dargebotene als wertvolles Geschenk und nicht als saure Pflicht empfunden wird.

Darauf kommt es an, nicht auf Tablet, PC und WLAN.

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  1. Landtag Nordrhein-Westfalen. 17. Wahlperiode. Ausschuss für Schule und Bildung. Ausschussprotokoll APr 17/49. 04.10.2017
  2. Deutsche Telekom Stiftung. Schule digital. Der Länderindikator 2017. Digitale Medien in den MINT-Fächern.
  3. Hessendienst der Staatskanzlei (Hrsg.). Symposium der Hessischen Landesregierung. Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat. Strategien zur Wahrung der Freiheitsrechte im Computerzeitalter. Protokoll. 1984.
  4. Interview der Süddeutschen Zeitung (17.5.2010, online hier). Siehe auch Beitrag auf Schule intakt.
  5. Carl Seelig (Hrsg.). Albert Einstein. Mein Weltbild. Ullstein. 1991. S. 23f.

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