Daniel Jung oder: Technik vor Pädagogik

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„Wir brauchen neue didaktische Konzepte, um aus analogen Klassenzimmern digitale Lernorte zu machen!“

Manchmal führt Neugier zu Irritationen. Am 24. März berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger über Daniel Jung, der angeblich “so etwas wie der Mathelehrer der Nation” ist. “In seinem Buch ‘Let’s Rock Education’ fordert er nicht weniger als eine Lernrevolution an Deutschlands Schulen”. Dass Jung ein paar Erklärvideos (sorry, “fast 2700 Mathe-Tutorials”) bei Youtube hochgeladen hat, war uns bekannt; dass er unter die Schriftsteller gegangen ist, nicht. Wir haben ein wenig im WWW gestöbert:

“Let’s Rock Education” ist 2020 bei Droemer Knaur erschienen. Der Verlag bewirbt das Buch so:

Das Sachbuch zur Diskussion über den Digitalen Bildungs-Pakt: Daniel Jung, der „Rockstar der Mathematik“ (FAZ) kritisiert die Politik und fordert eine digitale Lern-Revolution – allein Computer in der Schule reichen nicht! Auf die Pädagogen und die Pädagogik kommt es an!
Daniel Jung fordert: „Wir brauchen neue didaktische Konzepte, um aus analogen Klassenzimmern digitale Lernorte zu machen!“ Seit Jahren macht er mit seinen erfolgreichen Youtube-Tutorials vor, wie Bildung heute aussehen muss – und sein Erfolg gibt ihm Recht. In seinem Buch entwirft er Konzepte für eine digitale Lern-Revolution. Sein Credo: Individuelles Lernen statt standardisierter Bildung. Beispiele dafür gibt es genug, Daniel Jung stellt sie vor.
Vor allem aber macht er deutlich, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, sie umzusetzen. Denn wir müssen unsere Kinder umfassend auf die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz vorbereiten – sonst verspielen wir unseren Wohlstand und unsere wirtschaftliche Zukunft.

Aha. Offenbar sollen Lehrer die Digitalisierung der Schulen vollstrecken — zum Wohle des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Dabei fängt Jungs Buch so putzig an (siehe Vorwort in der Leseprobe):

Ich liebe meinen Neffen. Er ist jetzt zwei, und wenn ich mit ihm im Wald bin oder auf einem Spielplatz, dann fasziniert mich seine Bereitschaft, Neues zu entdecken. Seine Fähigkeit, zu lernen. Wie er in dieser unnachahmlichen Art von Zweijährigen mit seinen kurzen Beinen über einen Ast stolpert, wieder aufsteht und weitergeht. Alles anfasst, um es zu be-greifen und mit allen Sinnen aufzunehmen. Ich glaube, es gibt für meinen Neffen keine bessere Umgebung als den Wald und den Spielplatz. Hier, in der Natur und mit anderen Menschen zusammen, kann er alles lernen, was er braucht, um sich in Zukunft zurechtzufinden.

Irgendwie gelingt es Jung dann doch, den Bogen von seinem im Wald über Äste stolpernden Neffen zu digitalen Medien zu schlagen. Am Ende des Vorworts heißt es:

Wir sollten die Chancen erkennen, die sich uns durch die Digitalisierung bieten, um uns gemeinsam optimal zu bilden und auf die Zukunft vorzubereiten. Fangen wir an, die Medien nicht als Social, sondern als Educational Media zu nutzen.

Den Mathematikunterricht kommentiert Jung übrigens so:

Zudem basiert der Mathematikunterricht in der breiten Fläche noch stark auf der Prä-Computer-Ära, wo man riesige Tabellen brauchte, um Dinge zu berechnen. Hier wird immer noch viel gerechnet, was in der Tiefe ermüdend, langweilig und fehleranfällig für die meisten ist und den Spaß an der eigentlichen Mathematik verdirbt.

Und nur ein der Computer-Ära angepasster Mathematikunterricht ist weder ermüdend, langweilig noch fehleranfällig und garantiert, dass der Spaß an der eigentlichen Mathematik nicht verloren geht?

Auf seiner uns vor Neid erblassen lassenden Homepage schreibt Daniel Jung über Daniel Jung:

  • Wer ist eigentlich Daniel Jung? „Ich helfe Millionen in Mathe!“

  • Schon immer hat ihn das Thema Bildung (vor allem Mathematik als Grundlage für zukunftsträchtige Jobs) interessiert und wie man sie interessant transportiert.

  • Daniel Jung gilt als Vorreiter der „digitalen Bildungssysteme“. Die Medien bezeichnen ihn als “Mathe-Rockstar“. Nun möchte Daniel einen Schritt weiter gehen und das Bildungssystem in Deutschland nachhaltig modifizieren und verbessern.

  • Mit meinem Team bin ich im deutschsprachigen Raum wohl ein Pionier unter der neuen Art von Medien-Unternehmungen & -Persönlichkeiten: Ich bin Marke, Content-Entwickler/-Produzent und Mediakanal in einem.

Bevor man 20 Euro für Jungs Buch ausgibt, sollte man vielleicht lieber den neuesten Aufsatz von Ralf Lankau lesen, “Bildung und Digitali-Täter”:

Was das Mantra der „autogerechten Stadt“ für die 1920er und wieder für die 1960er Jahre war, ist hundert Jahre später das Mantra der digitalgerechten, datenkompatiblen Bildungseinrichtungen. Das ist nicht neu und wird seit Mitte der 1980erJahre wiederholt, nur hat Covid-19 einen unreflektierten Digitalisierungsschub bewirkt.

Und jetzt: Abschalten!

3 Kommentare

  1. Franz Lemmermeyer

    “Denn wir müssen unsere Kinder umfassend auf die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz vorbereiten”. Da sollen die Kinder der Technik statt die Technik den Kindern dienen. Das kennt man auch von andern Digitaltrotteln.

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  2. Stephan

    Vor über 7 Jahren: https://youtu.be/xYONRn3EbYY
    hat Conrad Wolfram schon darüber geredet, wie Mathe in der Schule aussehen kann.

    Ich denke oft wird nicht zwischen
    – Rechnen 1 (Kulturfähigkeit wie lesen und schreiben, rationale Zahlen)
    – Rechnen 2 (was Computer machen, oder TR)
    – Probleme umformulieren (um die echte Welt als Homo oeconomicus zu meistern)
    – Mathematik (Logik, Hilfswissenschaft, Formalismus verstehen)
    – “Spass” (Rätsel lösen, Rechentricks, Aha-Momente die man in 1 Woche wieder vergessen hat)

    Zu jedem Punkt kann man viele Argumente finden, ob digital oder analog, oder ob Schulschwerpunkt oder nicht.

    Ich persönlich finde diese Youtuber oft nicht so toll, weil meist ein roter Faden fehlt zu lernen und wenig “HYPERLINKS” (quasi das Problem rückwärts bis zu Axiomen aufgedröselt werden kann) genutzt werden. Oft sind es nur Lehrplan-spezielle Rezepte um Buch- und Prüfungsaufgaben zu lösen, ohne zu wissen was man eigentlich macht.

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    1. Andreas Menschen

      Danke für diesen Beitrag, der es auf den Punkt bringt: Digitalisierung ist nicht zwangsmäßig immer gut oder immer schlecht. Das gilt aber genauso für jede andere Form der Lehre.

      Das Problem der Youtuber sehe ich ähnlich. Der rote Faden fehlt hier häufig und die Videos sind mit persönlich zu kurz (< 15 min)und damit zusammenhanglos. Was

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