Karin Prien und die Geister der Digitalisierung

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“Ein Kindergartenkind braucht kein Smartphone.”

Karin Prien (CDU), Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, hat neulich der Bild-Zeitung ein Interview gegeben. Darin sagte sie unter anderem:

Insgesamt sitzen auch Erwachsene zu viel am Handy und Tablett. Das färbt auf die Jüngsten ab. In der Kita haben Smartphones nichts zu suchen. Wenn es nach mir ginge, müssten sie dort ganz draußen bleiben. Ein Kindergartenkind braucht kein Smartphone. Auch für die Grundschule denke ich, dass wir ein generelles Handynutzungsverbot ins Auge fassen sollten. […] Kinderturnen, Fahrradfahren, Spielplatz. All das ist weniger geworden.

Hört, hört! Jetzt muss sich diese Meinung nur noch bei Priens Ministerkollegen (m/w/d) durchsetzen. Das wird schwierig, nachdem jahrelang auf allen Kanälen der Digitalisierung das Wort geredet wurde — auch von der Ministerin aus Kiel selber: “Digitale Bildung und Demokratiebildung gehören unmittelbar zusammen. Der Ort, an dem beides zusammenläuft, ist die Schule. […] Digitale Medien in Schule und Unterricht sollen in Zukunft selbstverständlich werden” (im Interview “Nachgefragt: Bildungsministerin Karin Prien über digitales Lernen” von me2be.de).

Zum Gutachten “Digitalisierung im Bildungssystem: Handlungsempfehlungen von der Kita bis zur Hochschule” der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) merkte Prien 2022, damals Vorsitzende der KMK, an (Pressemitteilung vom 19.09.2022):

Wie die Kommission sind wir auch der Überzeugung, dass die Digitalisierung ein sehr zentraler, zugleich aber auch langer Prozess der Weiterentwicklung des Bildungssystems in allen Bildungsetappen sein wird. Ganz besonders hervorheben möchte ich, dass Digitalisierung erstmals systematisch mit Beginn der frühkindlichen Bildung betrachtet wird.

In diesem Gutachten, insbesondere im Kapitel “Digitalisierung in der frühen Bildung”, sind Dinge zu lesen, die äußerst fragwürdig sind (siehe Anhang unten).

Wir befürchten: “Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.”


PS
Liebe Frau Ministerin Prien, falls Ihr Ministerium bzw. das Land Schleswig-Holstein einen Diplom-Mathematiker (mit jahrelanger Erfahrung als Lehrer in NRW, hoher Sozialkompetenz, ausgeprägtem problem- und lösungsorientierten Denkvermögen und dem Hauptinteresse “Demokratisierung von Schule”) sucht, bitte beim Herausgeber dieses Blogs melden!


Anhang
Auszüge aus dem Gutachten “Digitalisierung im Bildungssystem: Handlungsempfehlungen von der Kita bis zur Hochschule” (Kapitel “Digitalisierung in der frühen Bildung”):

Zentrales Ziel bei der Förderung von Digital Literacy in der frühen Bildung ist, Kinder zu befähigen, digitale Medien als Werkzeug zum kreativen Arbeiten zu begreifen und nicht als bloße interaktive Unterhaltungsmedien. […]

Da Kinder vor allem im familiären Kontext in Kontakt mit digitalen Medien kommen, ist es von Relevanz, Eltern für die Medienbildung zu sensibilisieren und als Bildungspartner miteinzubeziehen (Cohen & Hemmerich, 2020). Sie können digitale Medien in allen Bereichen mathematischer, sachkundlicher, sprachlicher und ästhetischer Bildung nutzen. […]

Diverse Studien bestätigen für die sprachliche Entwicklung das Potenzial ausgewählter digitaler Anwendungen. So zeigten sich z. B. positive Zusammenhänge zwischen der kindlichen Sprachentwicklung und dem Einsatz von E-Books sowie verschiedenen Apps zum dialogisch digitalen Vorlesen (Cordes et al., 2020; Jelley et al., 2019; Takacs et al., 2015). […]

Für die sprachliche und mathematische Bildung liegen weitere empirische Ergebnisse zur App-Nutzung vor (Egert et al., 2022). Diese zeigen, dass der Einsatz qualitativ hochwertiger Apps durchaus eine eigenständige Nutzung durch die Kinder ermöglicht, bei der die Fachkräfte passiv bleiben. […]

In der ästhetischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Bildung gibt es bereits eine große Auswahl an digitalen Medien, beispielsweise zum Bestimmen von Tieren, Pflanzen oder Vogelstimmen. Ein digitales Mikroskop ermöglicht eine Vergrößerung von Blättern, Steinen, Kopfhaaren oder Knete und eröffnet somit eine neue Dimension der Betrachtung von alltäglichen Dingen für das Kind. Apps zum Erstellen von Bildern mit verschiedenen Symmetrieeigenschaften ermöglichen tiefgreifende mathematische und ästhetische Erfahrungen. In dieser Form der Mediennutzung liegt enormes Wahrnehmungspotenzial (Neuß, 2009). […]

Frühe digitale Medienbildung ist in den Kitas als Bildungsbereich unterentwickelt und nur selten nachhaltig im pädagogischen Konzept der Einrichtungen verankert. Die Ausstattung aller frühpädagogischen Einrichtungen mit digitalen Technologien (Digitalkamera, PC/Laptops, Tablets etc.) zur Nutzung durch Fachkräfte und durch Kinder (ab drei Jahren) gemeinsam mit den Fachkräften sollte forciert werden. Kontinuierliche technologische Unterstützungssysteme sichern die Nachhaltigkeit der Ausstattung.

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