Gewalt, Mobbing und Vandalismus haben Ursachen

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“Schule ist kein freundlicher Ort. Schule ist oft wie Knast.”

Es soll ja Schulen geben, an denen es zu Mobbing und Vandalismus kommt. Jüngst berichtete zum Beispiel die Berliner Zeitung: “In einer brisanten Pressemitteilung beklagt der Bezirksschülerausschuss [Marzahn-Hellersdorf] eine zunehmende Gewalt an den Schulen.”

Über Ursachen von Gewalt, Mobbing und Vandalismus wird selten nachgedacht.1 Für eine erste Orientierung mögen folgende Auszüge aus diversen Quellen dienen:

1.) Jesper Juul schreibt in seinem Buch “Schulinfarkt” (2013, Kösel-Verlag, München, S. 74f)

Mobbing entsteht infolge eines Führungsproblems, das die gesamte Schule, nicht nur die Schüler betrifft. […] Die skandinavischen Länder haben viel Geld in Mobbingprogramme investiert, die jedoch relativ wirkungslos bleiben, weil es sich im Kern wie gesagt um Führungsprobleme handelt. In der Schule sind ja alle Angestellten auch Führungskräfte, nicht nur die Schulleitung, sondern auch die Lehrer, die im Klassenzimmer, bei Eltern- und Schülergesprächen die Führungsrolle innehaben.

2.) “Mobbing beginnt nicht in den Köpfen der Kinder” von Jesper Juul auf fritzundfraenzi.ch

Mobbing ist eine Reaktion auf ein dysfunktionales soziales System in Institutionen und Organisationen. Die wichtigste Führungskraft in Schulen ist die Schulleiterin oder der Schulleiter. Ihr/sein Führungsstil, ihre/seine Werte und Prinzipien spiegeln sich im Verhalten der meisten Lehrpersonen wider.

3.) “Wenn der Chef krank macht” auf spiegel.de

Auffällig bei toxischen Chefs ist der Missbrauch der Macht, die ihnen ihre Position verleiht. Sie vertrauen auf das Instrument der Angst, sie wollen einschüchternd wirken. Dass sie arrogant rüberkommen, ist gewollt, Mittel zum Zweck. […]
Bei problematischen Chefs kommt oft ein gefährlicher Cocktail aus verschiedenen negativen Eigenschaften zusammen. Sie sind tendenziell selbstverliebt, machthungrig, manipulativ und dabei gefühlskalt. […]
Hinzu kommt: Vorgesetzte mit einer solchen Persönlichkeitsstruktur sind häufig gut darin, willige Unterstützer um sich zu scharen, die aus Angst, aber auch weil sie von der Macht mitprofitieren wollen, die giftigen Verhaltensweisen decken oder sogar befördern. Die Kosten dafür tragen die, die nicht Teil der “In-Group” sind.

4.) “Mobbing: Schlechtes Arbeitsklima im Team ansprechen” auf neurologen-und-psychiater-im-netz.org

Ungünstige Rahmenbedingungen der Arbeitswelt können zu einem schlechten Arbeitsklima führen, welches unter anderem Mobbing begünstigen kann. Dazu zählen eine unklare Aufgabenverteilung, fehlende Organisationsstrukturen oder auch eine fehlende Gesprächskultur in Unternehmen. […]
Auch eine schlechte Arbeitsorganisation mit unklarer Aufgabenverteilung gilt als begünstigender Faktor für Mobbing. […] Ebenso gilt ein autoritärer Führungsstil, bei dem alles von oben diktiert wird als problematisch. Denn manche Beschäftigte orientieren sich am Vorbild des Chefs und neigen dann dazu, Konflikte entsprechend mit Macht zu lösen.

5.) “Arbeitsklima: Mobbing ist Chefsache” auf faz.net

[Z]entral für die Häufigkeit von Mobbing ist das Verhältnis zwischen Mitarbeiter und Chef. Das haben Wissenschaftler des Arbeitsbereichs “Wirtschafts- und Sozialpsychologie” der Freien Universität Berlin in einer Befragung von über 4000 Arbeitnehmern herausgefunden.

Die in diesem Artikel erwähnte Studie “Die Erfassung von Mobbing – Eine Konstruktvalidierung aktueller Datenerhebungsverfahren von Eisermann/de Costanzo findet sich auf baua.de.

6.) “Gewalt und Radikalisierung vermeiden – eine Anleitung” von Jesper Juul auf kinder-und-wuerde.de

Wenn Menschen nicht gehört werden, haben sie die Tendenz die «Lautstärke» aufzudrehen. Diese Gewalt kann entweder schädigende Gewalt sein, die andere Menschen verletzt oder ihren Besitz beschädigt, oder sie kann von der introvertierten Sorte sein, die in eine Reihe von selbstzerstörerischen Verhalten resultiert.

7.) “Schule ist oft wie Knast” auf derwesten.de

Ein Expertenkreis in NRW will den Amoklauf von Winnenden aufarbeiten. Doch Schülervertreter sind unzufrieden mit dem bisherigen Ergebnis. […] Sie haben eine andere Theorie, woher die extreme Gewalt kommt: Es sei die Schule selbst, die Kinder zur Verzweiflung treibe. „Schule ist kein freundlicher Ort. Schule ist oft wie Knast”, meinen Dilan, Johannes und Kai.

8.) “Gründe für Aggressionen bei Schülern” (Leserbrief von Ekkehard Höhl) auf Schule intakt

Und wenn Schüler in der Schule von Lehrern erfahren, dass sie “dumm” sind und zudem einen Unterricht erleben, der sie nicht anspricht, dann hat das auf viele Schüler ebenfalls mögliche negative Auswirkungen. Warum finden sich in der Berichterstattung über das Thema “Gewalt gegen Lehrer” dazu keine Hinweise, die auf Zusammenhänge von gewalttätigen Aggressionen gegen Lehrer mit vorher erfahrenen Demütigungen und Notendruck durch eben diese hinweisen? […]

9.) “Vandalismus in der Schule eindämmen” auf das-macht-schule.net

Beschädigung und Zerstörung sind oft Ausdruck von Wut, Langeweile und von fehlender Anerkennung. […]
Stell dir vor, es ist Schule und alle gehen gerne hin und keiner macht absichtlich etwas kaputt. Utopie? – Keineswegs: Fragt man nämlich Schüler, was sie für wichtig halten, um sich an ihrer Schule wohl zu fühlen, hört man immer wieder atmosphärische Wärme, Gemütlichkeit (auch Sicherheit), eine pfiffige Funktionalität in punkto Architektur und räumlicher Gestaltung.

10.) “Vandalismus – Ursachen” auf schulklo.de (nur noch über ein Internetarchiv zu finden, zum Beispiel: archive.org/)

Jugendliche werden zum Thema Vandalismus nur selten befragt. Bei den Befragungen haben sich folgende Gründe und Aspekte für den Vandalismus herausgestellt:

  • Unzufriedenheit, Unausgeglichenheit
  • Angst vor der Isolation (Ausgrenzung aus der Gruppe)
  • Langeweile
  • Profilierungswunsch
  • Wut über Unverständnis durch Eltern, Lehrer oder Mitschülern
  • Leistungsdruck
  • Rache (gegen Einzelpersonen und die Schule als Institution)
  • Lust und Spaß
  • Weitere Emotionen wie Liebeskummer oder schlechte Noten

11.) Arno Gruen berichtet in seinem Buch “Wider den Gehorsam” über einen Zusammenhang zwischen Erfolgsorientierung und Herabsetzung von Mitschülern (Klett-Cotta, 2014, S. 57ff):

Helen Bluvol und Ann Roskam führten Studien (beide 1972) an einem amerikanischen Gymnasium durch. Sie untersuchten zwei Gruppen von Schülern — eine, die äußerst erfolgreich war, sich gehorsam den Ambitionen der Eltern anpasste, und eine andere Gruppe, deren Leistung zwar als genügend eingestuft wurde, die sich aber nicht sonderlich für Erfolge interessierte und keinem Druck ausgesetzt war, den Erwartungen der Eltern zu entsprechen, also Gehorsam zu sein. […]
Die erfolgsorientierten Schüler, die ihre Eltern verklärten, tendierten vehement dazu, ihre Mitschüler zu Unterlegenen zu machen.

12.) “Schülersuizid – Was Lehrerinnen und Lehrer wissen sollten” von Heidrun Bründel auf schulpsychologie.nrw.de

Fest steht, dass Schule mit ihren Strukturen, Leistungsansprüchen und Notenvergabe ein krisenanfälliger Bereich und damit für Jugendliche ein Stressor ersten Ranges ist. Normalerweise kann man davon ausgehen, dass Schülerinnen und Schüler schulische Misserfolge bewältigen, aber wenn diese auf einen bestimmten negativ getönten psychischen Nährboden fallen, können sie schlagartig eine suizidale Handlung auslösen […]. […]
Schulstress kann auch durch Fehlverhalten von Klassenameraden und Lehrkräften entstehen. […]
Gemobbte Jugendliche sind suizidgefährdet, dies darf nicht übersehen werden. Erschwert wird ihre Situation dadurch, dass sie nur selten von Lehrern Hilfe und Unterstützung erhalten.

13.) “Columbine, Erfurt, Blacksburg und kein Ende? Amokforschung” (Bayerischer Rundfunk, Forschung und Gesellschaft, 12.07.2007) auf deutschlandfunkkultur.de

„Es steht niemand morgens auf und sagt, ich werde einen Amoklauf machen. Diese Taten sind immer, und wir haben alle deutschen Fälle ausgewertet, sehr intensiv, Ende eines Prozesses. Am Anfang steht ein Missstand, irgendwas ist nicht in Ordnung, ich fühle mich gekränkt, benachteiligt, Opfer von Mobbing.” (Amokforscher Jens Hoffmann)

PS
Die Ministerin für Schule und Bildung, Yvonne Gebauer, sagte am 07.10.2020 vor dem Landtag Nordrhein-Westfalen:

Die physische und psychische Unversehrtheit und das Wohlergehen aller Mitglieder unserer Schulgemeinschaften sicherzustellen, ist Aufgabe aller Verantwortlichen in Schulaufsicht, aber auch in Schulen.

Ja, Frau Ministerin, da haben Sie recht. Um dieser Aufgabe nachzukommen, wäre es schön, wenn Ihr Ministerium, der Landtag und die Bezirksregierungen über Ursachen von Gewalt, Mobbing und Vandalismus nachdächten und dazu beitrügen, Schulen zu freundlichen Orten zu machen.

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Fußnote:

  1. Der Landtag NRW und die Schulministerin debattierten zum Beispiel 2020 unzulänglich über das Thema (wir berichteten). Auch die ehmaligen Berliner Bürgermeister Momper und Diepgen diskutierten das Problem nur oberflächlich (Berliner Zeitung).

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