Humanisierung der Arbeitswelt

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“Jeder soll sich am Arbeitsplatz wohlfühlen.”

In öffentlichen Bücherschränken finden sich manchmal wertvolle Zeugnisse der Vergangenheit, zum Beispiel das Büchlein “Politik für Arbeitnehmer”, herausgegeben 1986 vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Norbert Blüm war damals unter Kanzler Helmut Kohl Minister für Arbeit und Sozialordnung). Auf Seite 94 liest man darin unter der Überschrift “Jeder soll sich am Arbeitsplatz wohlfühlen”:

Für die Gesundheit und das Wohlbefinden eines Menschen ist die Qualität des Arbeitsplatzes genauso wichtig wie seine private Umgebung.

Auf den Seiten 96 und 97 geht es um die “Humanisierung der Arbeitswelt” (Scans der Seiten 94 – 97 unten im Anhang):

Neue Techniken, neue Arbeitsabläufe und Produktionsverfahren erfordern auch neue Methoden, Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz zu vermeiden und zu beseitigen. Es geht darum, die Arbeit an die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen anzupassen und die menschliche Würde auch am Arbeitsplatz zu erhalten.

Deshalb gibt es das “Aktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens”, das vom Bundesforschungministerium in Zusammenarbeit mit dem Bundesarbeitsministerium getragen wird. Dieses Forschungsprogramm hat in den vergangenen Jahren wichtige Beiträge zu mehr Menschlichkeit im Arbeitsleben geleistet.

Ausgangspunkt für dieses Programm war die Erkenntnis, daß der betriebliche Arbeitsschutz in seiner traditionellen Form heute nicht mehr ausreicht. Neben Arbeitsunfällen und den seit vielen Jahren bekannten Berufskrankheiten spielen neue Krankheiten und psychische Belastungen beim Arbeitsablauf eine immer größere Rolle. […] Auch die Einbindung in eine betriebliche Organisation, die wenig Spielraum für die Entfaltung der eigenen Fähigkeiten läßt, trägt zur Belastung am Arbeitsplatz bei.

Das “Forschungsprogramm Humanisierung des Arbeitslebens” soll helfen, solchen und ähnlichen Belastungen auf die Spur zu kommen und nach Wegen zu suchen, sie abzubauen.

Das sind starke Worte — wann hat man zuletzt einen führenden Politiker (m/w/d) von der “Humanisierung der Arbeitswelt” (bzw. des Arbeitslebens) reden hören? (Eine Suche auf bundestag.de ergibt, dass vor dem Bundestag zuletzt der Arbeitsminister Hubertus Heil am 28.11.2018 davon sprach, Protokoll hier.)

Dass das mit dem Abbau der Belastungen am Arbeitsplatz nicht so recht geklappt hat, darauf deutet der jüngst auf Arte gezeigte Dokumentarfilm “Arbeit ohne Sinn” (Regie: John Webster, 2022) hin. In der Programminfo heißt es:

Der Dokumentarfilm führt uns hinter die glänzenden Unternehmensfassaden und deckt die systemischen Probleme am Arbeitsplatz auf: Überflüssige Meetings, Papierkram und inkompetente Vorgesetzte. Toxische Arbeitsplätze mit sinnlosen Anforderungen beschädigen auf Dauer die Gesundheit. […]
“Arbeit ohne Sinn” erforscht die Gründe dafür, warum hochbezahlte Managerinnen und Manager so gerne Phrasen dreschen, abstrusen Managementmethoden folgen und zum Wohl der Aktionärinnen und Aktionäre das Betriebsklima vergiften. Laut einer Untersuchung von Gallup versuchen nur 13 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihren Job gut zu machen. 64 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dagegen ist ihr Job gleichgültig, sie wollen nur mit einem Minimum an Aufwand einigermaßen gut durch den Tag kommen. Ganze 25 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten gegen die Firma, bei der sie angestellt sind, weil sie ihre Tätigkeit hassen. Die Zahlen variieren von Land zu Land, aber der Trend lässt sich überall auf der Welt beobachten.
Dass sie in ihrer Arbeit keinen Sinn finden können, macht viele Menschen sogar krank. In der Dokumentation berichten Patientinnen und Patienten mit Burnout von ihren Erfahrungen. Eingeordnet und kommentiert werden deren Aussagen vom verstorbenen Anthropologen und Aktivisten David Graeber und der in Berkeley ansässigen Pionierin der Burnout-Forschung, der Psychologin Christina Maslach.

Zur weiteren Lektüre:

  • “Wie die Grundlagen unseres Sozialstaates zerfallen” von Walter Edenhofer auf den NachDenkSeiten (22.01.2010)
  • “Die erschöpfte Gesellschaft” von Udo Brandes auf den NachDenkSeiten (08.10.2023)

Anhang

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