Schweden fährt die Digitalisierung der Grundschulen zurück
Auch in Norwegen und Dänemark kommen Zweifel am Nutzen digitaler Medien auf. — “Der Gebrauch von Laptops und Handys zerstört die Konzentration.”
Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Nicht nur Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien ist skeptisch geworden, was digitale Medien angeht (wir berichteten). Auch weiter nördlich geschieht offenbar Erstaunliches:
ORF.at meldet unter der Überschrift “Schwedens Schulen: Mehr Feder und Bleistift statt Tablet” (12.09.2023):
Mit dem jüngsten Start ins neue Schuljahr findet der Unterricht in den schwedischen Volksschulklassen nun wieder vermehrt mit gedruckten Büchern, Handschreiben und stillem Lesen statt. Weniger Zeit verbringen die Kinder dagegen an Tablets oder vor Computern, wo sie eigenständig im Internet Antworten auf Fragen suchen und mit dem Tippen auf Tastatur oder Tablet.
Ihre Pläne, die nationale Digitalisierungsstrategie an den Schulen zurückzufahren, hatte die konservative Bildungsministerin Lotta Edholm, die letzten Herbst ihr Amt antrat, bereits im Mai angekündigt. Und bereits im März sagte sie, Schwedens Schüler „brauchen mehr Schulbücher“. Physische Bücher seien wichtig fürs Lernen, so Edholm. In Kindergarten und Vorschule soll digitales Lernen nun ganz verboten werden. […]
[D]as angesehene Karolinska-Institut, eine Medizinuni mit starkem Forschungsschwerpunkt, sprach sich zuletzt ebenfalls für eine „Analogisierung“ aus. Es betonte letzten Monat, digitale Geräte würden „das Lernen der Schüler eher einschränken statt fördern“ und sprach von „klarer wissenschaftlicher Evidenz“. Wissensaneignung solle daher besser durch gedruckte Schulbücher und die Expertise der Lehrerinnen und Lehrer erfolgen, „statt vor allem durch frei zugängliche digitale Quellen, die nicht genau auf ihre Richtigkeit überprüft wurden“.
businessportal-norwegen.com meldet (“PIRLS-Studie: Norwegische 10-Jährige lesen schlechter als 2021”, 16.05.2023):
Die Lesekompetenz norwegischer 10-Jähriger liegt deutlich über dem internationalen Durchschnitt, allerdings lesen sie schlechter als 2016. […] Als Grund für die Verschlechterung der Lesekompetenz wird in Norwegen auch die Digitalisierung an den Schulen in Betracht gezogen. […]
„Die Kinder verbringen sowohl in der Schule als auch zu Hause immer mehr Zeit vor Bildschirmen und immer weniger Zeit mit Papierbüchern. Wenn wir das Lesen stärken wollen, müssen wir ganzheitlicher denken. Die Regierung ergreift bereits mehrere Maßnahmen. Unter anderem haben wir mehr Geld für Schulbibliotheken gespendet, und wir werden mehr Geld für Schulbücher geben. Darüber hinaus arbeiten wir an einer Lesestrategie und werden ein Komitee einrichten, das sich mit der Bildschirmnutzung der Kinder befasst“, sagt Wissenschaftsministerin Toni Brenna.
Die deutschsprachige dänische Zeitung “Der Nordschleswiger” meldet unter der Überschrift “Handys und Laptops verschwinden aus dem Unterricht” (04.04.2023):
Als Privatschule ist es möglich, auch mal andere Wege zu gehen. Das tut die Marieskolen in Tondern. Sie verbannt im Rahmen eines zweiwöchigen Versuchs Handys und Laptops sowie Tablets aus dem Unterricht. Das Verbot gilt sowohl für die Schülerschaft als auch fürs Kollegium. Ziel des Versuchs ist, bei Kindern die Zeit vor dem Bildschirm zu reduzieren und sich wieder den analogen Unterrichtsmethoden zuzuwenden. […]
Die Schule habe seit längerer Zeit die negativen Folgen einer übertriebenen Zeitspanne vor den Monitoren und mit der Nutzung von Handys erlebt. Es seien Defizite im Lernvermögen entstanden, im sozialen Miteinander und der geistigen Gesundheit, so die Schule in einer Pressemitteilung. […]
Die Sorge der Marieskole ist berechtigt, meint die dänische Kinder- und Schulforscherin Louise Klinge. Auch sie kann die Veränderungen des Unterrichts mit dem Einzug der digitalen Instrumente sehen: Die Konzentration der Schülerinnen und Schüler habe merklich nachgelassen, so die Wissenschaftlerin in einem Interview mit der Zeitung „Berlingske“. „Der Gebrauch von Laptops und Handys zerstört die Konzentration. Die ist immer von einem sinnvollen, abwechslungsreichen und spannenden Unterricht abhängig. Mit IT reicht eine gute Vermittlung nicht mehr aus, denn der Computer wird ohnehin die Aufmerksamkeit der Kinder stören. Das Problem ist am größten in der Ober- und Mittelstufe“, erklärt Klinge.
Kultusminister aller Länder: Hört die Signale! Lest das Dammer-Gutachten und den einen oder anderen Beitrag von Ralf Lankau (zum Beispiel “Bildung und Digitali-Täter”)!
Liebe Frau Ministerin Dorothee Feller, überdenken Sie bitte den Medienkompetenzrahmen NRW!